Teilnehmende des Fachtages denken in Arbeitsgruppen über Lösungsansätze in der Wohnungsnotfallhilfe nach.Foto: Andreas Schuppert
Es gehört wohl zu den schlimmsten Formen der sozialen Ausgrenzung. Wer wohnungslos oder verschuldet ist, seine Miete nicht bezahlen kann oder Sozialleistungen empfängt, hat es schwer, wieder auf die Beine zu kommen. Etwa 120Mitarbeitende der Wohnungsnotfallhilfe, Vertreter der Sozialämter, Jobcenter und der sächsischen Wohnungswirtschaft haben sich bereits zum siebten Mal zu einer Fachtagung getroffen, um sich auszutauschen und über Lösungsansätze nachzudenken.
Wohnungslosigkeit sei längst keine Randerscheinung in der Gesellschaft mehr, betont David Eckardt, Chef des AWO-Landesverbandes Sachsen und derzeitiger Vorsitzender der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen, zu Beginn der Tagung. Das Problem sei auch nicht mehr nur auf Großstädte konzentriert, sondern betreffe immer mehr den ländlichen Raum sowie Familien und Kinder, denn es fehle vor allem bezahlbarer Wohnraum. Fast 5.450 Menschen seien in Ostdeutschland wohnungslos. Hinzu kamen allein in Sachsen mehr als 6.800 wohnungslose Personen, welche in Unterkünften untergebracht waren. "Hinter den Zahlen stehen Menschen und Schicksale", betont Eckardt.
Menschen mit Migrationshintergrund sind überproportional betroffen
Wie sehen die Probleme der Betroffenen aus? Einblick gibt der Wohnungslosenbericht 2024, der im Januar veröffentlicht wurde und alle zwei Jahre erscheint. Joachim Krauß von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) stellt den Bericht unter dem besonderen Blickwinkel von Menschen mit Migrationshintergrund vor. Sein Fazit: Der Anteil ausländischer Staatsangehöriger unter Menschen in Wohnungslosigkeit ist überproportional hoch. "Migration ist ein Risikofaktor für Wohnungslosigkeit. Wohnungslose Familien sind sehr oft nichtdeutsche Familien", hebt Krauß hervor. Dabei bestehe häufig ein direkter Zusammenhang zu einem Arbeitsplatzverlust.
Für die Fachleute steht an diesem Tag die Prävention im Vordergrund. Heidi Ott von der Diakonie Bayern stellt das Fachstellenmodell vor, das sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen vor der Wohnungslosigkeit zu bewahren. "Wohnen ist ein Menschenrecht", betont Heidi Ott. Eine Studie zu den bayerischen Fachstellen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit kommt zu dem Ergebnis, dass diese Stellen wirksam dazu beitragen, Wohnungslosigkeit zu verhindern, staatliche Kosten zu senken und das Kindeswohl zu fördern. Zudem seien sie effektiv, weil sie in weiterführende Hilfe vermitteln und regional vernetzt sind. Die Diakonie Sachsen arbeite hierbei eng mit den Bayern zusammen, betonte Rotraud Kießling von der Diakonie Sachsen, Schwerpunktverantwortliche Wohnungsnotfallhilfe im Liga-Fachausschuss Soziales.
Prävention: Experten in eigener Sache
Das große Thema Prävention vertieften die Teilnehmenden der Fachtagung in fünf Arbeitsgruppen, die die komplexen Themen der Wohnungsnotfallhilfe aufgriffen. Ein wichtiger Aspekt: Die Einbindung von Personen, die einmal selbst von Wohnungslosigkeit betroffen waren oder noch sind. "Nicht über uns, sondern mit uns reden", ist dabei die Botschaft. Um sogenannte Peers zu gewinnen, braucht es niederschwellige Angebote und Beteiligungsmöglichkeiten wie gemeinsame Freizeit, Beratungen oder Gespräche. Betroffene können als "Expertinnen und Experten in eigener Sache" agieren.
Problematisch ist auch der Zusammenhang von Sucht, besonders Alkohol, und Wohnungslosigkeit, wie Hendrik Lenga-Radzuweit vom Suchtzentrum Leipzig zeigt. Er leitet eine Einrichtung für chronisch mehrfach geschädigte abhängigkeitskranke Menschen am Sucht und Wohnungslosenhilfe-Modellstandort. Kooperationspartner sind zudem Sozial- und Gesundheitsamt sowie Träger und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe und der Suchthilfe in Leipzig. Um hier Prävention zu leisten, brauche es die Vernetzung vieler Akteure, betont Lenga-Radzuweit.
Das gilt auch für die Kooperation der Wohnungsnotfallhilfe mit der Wohnungswirtschaft. Wie können Betroffene wieder Wohnraum bekommen, wenn die Wohnung einmal verloren ist, wie kann der Wohnraum erhalten werden und was trägt zu einer gelingenden Kooperation bei? Frühzeitige Intervention in Krisensituationen, Beratung von Mietern, Vertrauen und Kontaktpflege sind dabei nur einige Aspekte, um die Zusammenarbeit zu stärken und Wohnungslosigkeit zu verhindern. Beate Drowatzky vom Caritasverband für das Bistum Dresden-Meißen weist auf die Musterkooperationsvereinbarung der Liga hin, die eine weitere Möglichkeit der Zusammenarbeit bietet und in die Praxis umgesetzt werden kann.
Entscheidend ist die Netzwerkarbeit
Dass viele Akteure beteiligt sein müssen, um Wohnungslosigkeit zu vermeiden, zog sich wie ein roter Faden durch den Fachtag, ein Punkt, den auch Sachsens Sozialministerin Petra Köpping in ihrer Videobotschaft unterstrich. Katharina Fritzsche, zurzeit Vorsitzende des Liga-Fachausschusses Soziales, zog eine positive Bilanz der Veranstaltung. Für die Teilnehmenden sei es wichtig, sich auszutauschen, Impulse für die tägliche Arbeit zu bekommen, um sich weiter für Menschen einzusetzen, "die sonst wenig Lobby haben". Katharina Fritzsche hob zudem hervor, dass mit dem Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit das Thema inzwischen auch auf Bundesebene angekommen ist.
Andreas Schuppert