Nicht nur Paragraph 219a, auch 218 steht zur Disposition.Fotos: Andreas Schuppert
Von Hanns Joachim Friedrichs stammt der berühmte Grundsatz, dass sich ein Journalist nicht mit einer Sache gemein machen darf, auch nicht mit einer guten. Was gut und böse ist, hat Friedrichs nicht überliefert. Gemeint hat er aber, dass der Journalismus sich immer um Objektivität bemühen, das Für und Wider abwägen, Pro und Contra diskutieren muss, damit sich der Leser, der Hörer, der Zuschauer eine eigene Meinung bilden kann. MDR-Moderatorin Sina Peschke, Trägerin des Deutschen Radiopreises 2012, hat in ihrer Sendung "Dienstags direkt", bei der es um die Abschaffung des Paragraphen 219a (Werbung für Abtreibungen) ging, den Grundsatz des großen Meisters gröblich verletzt. Vom Anfang bis zum Ende war deutlich, auf welcher Seite sie steht. Sorry! Auch der Autor folgender Zeilen wird Friedrichs eherne Regel übertreten. Das hat seinen Grund. Aber der Reihe nach.
Sina Peschke hat sich Gäste in ihre Sendung eingeladen, die über die Abschaffung des Paragraphen 219a diskutieren sollen: Susanne Köhler, Vorsitzende des Landesfrauenrates Sachsen, Selina Zahn, angehende Ärztin, Hochschulgruppe AG Kritische Medizin Leipzig, Ulrike Rosinski, Familienberaterin Diakonie Dippoldiswalde und Dr. Johanna Rautenberg, Referentin für Schwangerschaftsberatung im Caritasverband für das Bistum Dresden-Meißen als Vertreterin der katholischen Kirche (vorgestellt in dieser Reihenfolge). Mit dabei ist auch Franziska aus Leipzig als Betroffene.
Gefahr der Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen
Die erste Frage der Moderatorin geht gleich zur Sache, der Ton ist eindeutig, weshalb der Hörer meint, die Antworten schon zu kennen: Sollte der Paragraph 219a abgeschafft werden? Susanne Köhler gibt dann auch die gewünschte Antwort. Der Paragraph sei unsinnig, diskriminiere Frauen, die einen Anspruch auf umfassende Beratung und Information hätten. Selina Zahn spricht von einem historischen Relikt, will aber auch die Legalisierung der Schwangerschaftsabbrüche. Diakonie-Beraterin Ulrike Rosinski spricht sich ebenfalls für die Abschaffung des 219a aus.
Dr. Johanna Rautenberg beteiligte sich für die Katholische Kirche an der Diskussion.
Als einzige hält Johanna Rautenberg dagegen und gibt die "negative Signalwirkung für die Gesellschaft" zu bedenken. Die Grenze zwischen Informationen und Werbung sei fließend, und es bestehe die Gefahr der "Normalisierung und Banalisierung des Schwangerschaftsabbruches". Es gebe ein Lebensrecht der Frau, aber ebenso ein Lebensrecht des ungeborenen Kindes. Das kann Sina Peschke nicht verstehen. "Was ist Ihre persönliche Meinung?" "Das ist die Meinung der Katholischen Kirche, das ist die Meinung der Caritas, und das ist auch meine Meinung", antwortet Johanna Rautenberg.
Etwas länger kommt die Betroffene, Franziska, heute 37 Jahre, aus Leipzig zu Wort, die aus ihrer Lebensgeschichte erzählt. Zwei Schwangerschaftsabbrüche, mit 33 und 36, hat sie hinter sich. Beim ersten Mal war sie alleinerziehende Mutter, verzweifelt, überfordert. Die Entscheidung für die zweite Abtreibung habe sie dann zusammen mit ihrem Partner getroffen. Franziska klagt darüber, dass sie kaum Informationen über den Schwangerschaftsabbruch erhalten habe, zur Beratung verpflichtet gewesen sei, was sie unter Zeitdruck gebracht habe. Das alles wolle sie nicht. "Ich bin eine mündige Frau, die allein entscheiden kann."
Widerstand kann da nicht geduldet werden. Susanne Köhler warnt vor sogenannten "Gehsteigbelästigungen", bei denen sich "militante Abtreibungsgegner" (hier wird ausnahmsweise nicht gegendert) mit Bannern vor Kliniken und Arztpraxen stellen und Frauen und Ärzte bedrängen. Wie viele dieser Abtreibungsgegner es in Sachsen gibt, kann sie nicht sagen. Die anderen Teilnehmerinnen in der Runde können über solche Erfahrungen nicht berichten. Fast resigniert stellt Moderatorin Peschke fest, dass die Abtreibungsgegner "im fernen Osten Deutschlands" nicht vorkommen. Dieser Stoff scheint auszugehen. Trotzdem fordert Susanne Köhler Gesetzesänderungen für Versammlungen gegen die Abtreibung und Bannmeilen für Krankenhäuser.
Der lange Schatten der DDR
Auffallend ist immer wieder der Rekurs auf die Praxis der Schwangerschaftsabbrüche in der früheren DDR, wo die Frauen "freier und unabhängiger" hätten entscheiden können. "Im Osten war es viel einfacher abzutreiben", sagt Ulrike Rosinski auf Nachfrage der Moderatorin. "Ob das in jedem Fall so gut war, muss dahingestellt bleiben". Die Sprachregelung in der DDR, die den Vorgang nicht als "Abbruch", sondern als "Unterbrechung" der Schwangerschaft bezeichnete - so als ob eine begonnene Schwangerschaft irgendwann fortgeführt werden könne - wird nicht erwähnt. Moderatorin Peschke bedauert dagegen, dass es immer weniger Ärzte gebe, die Abtreibungen vornehmen, und beruft sich auf Recherchen eines bekannten Fernsehmagazins.
Medizinstudentin Selina Zahn berichtet, dass die Lehre zu Schwangerschaftsabbrüchen in der Ausbildung - sie will Gynäkologin werden - zu kurz käme. Deshalb treffen sich Studierende zu so genannten "Papaya-Workshops", um mit der klimabelasteten Frucht des Melonenbaumes Absaugmethoden des "Schwangerschaftsmaterials" (Selina Zahn) zu üben. Hier schaudert’s nicht nur dem Hörer, sondern auch der Frauenvertreterin Susanne Köhler. Sie fordert aber keinen würdigeren Umgang mit dem Thema, sondern eine Verbesserung der Ärzte-Ausbildung. Da müssten auch die Landesärztekammern Druck auf die Politik machen.
Auch persönliche Überzeugungen der Ärzte berücksichtigen
Die Moderatorin möchte, dass alle Gynäkologen zur Abtreibung verpflichtet werden. Die anderen sagen, dass auch Ethik und Moral in dieser Frage eine Rolle spielen. Franziska ist überzeugt, dass "Ethik und Moral bei der Frau bleiben müssen" und der Arzt nur den medizinischen Eingriff vornehmen soll. Johanna Rautenberg bemerkt dagegen, dass auch religiöse und weltanschauliche Überzeugungen des Arztes und die Freiheit der Entscheidung berücksichtigt werden müssen.
Inzwischen ist der Paragraph 219a deutlich in den Hintergrund getreten. Die christlichen Vertreterinnen in der Runde verweisen auf die Bedeutung der Beratungseinrichtungen, welche Frauen nicht entmündigen, sondern Hilfe anbieten wollen. So richtig kontrovers wird es an diesem Abend nicht. Die Frauen akzeptieren sich in ihren unterschiedlichen Ansichten. Das tut gut, wenn man andere Talk-Formate dagegenhält und auf den Ernst des Themas blickt. Mit Ausnahme von Moderatorin Sina Peschke. Am Ende zeigt sie, worum es ihr eigentlich geht. "Werden wir noch erleben, dass der Paragraph 218 abgeschafft wird?" Susanne Köhler ist eher skeptisch, Selina Zahn eher optimistisch, Franziska antwortet mit "Ja" - Johanna Rautenberg wird nicht mehr gefragt. Wer nach den 22 Uhr-Nachrichten noch Geduld hatte, konnte sich Interviews mit Ärzten anhören. Einer berichtet, dass er in seiner Praxisklinik in Hoyerswerda Abtreibungen vornehme, um den Frauen zu helfen, und auch, dass es in der DDR anders, meint einfacher, war. Sorry! Da war es wirklich Zeit abzuschalten.
Andreas Schuppert