Caritasdirektor Matthias MitzscherlichFoto: Andreas Schuppert
KNA: Herr Mitzscherlich, wie stehen Sie zur Impfpflicht für Pflegekräfte?
Mitzscherlich: Ende der 1980er Jahre habe ich eine Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht. Impfungen, so haben wir es gelernt, leisten einen großen Beitrag zur Überwindung von Infektionskrankheiten. Ich habe die Erwartung, dass Pflegefachkräfte diese ihre beruflichen Standards anwenden und sich impfen lassen: zum Schutz für die eigene Gesundheit wie auch zum Schutz ihrer Patienten. Eine freiwillige Bereitschaft wäre mir lieber als eine Impfpflicht. Ich selbst bin geboostert und froh über die Möglichkeiten der modernen Medizin.
KNA: Was erwarten Sie für den 16. März?
Mitzscherlich: Die nicht ausreichende Impfbereitschaft stellt die Pflegeeinrichtungen und die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen vor erhebliche Probleme. In der ohnehin angespannten Personalsituation kann ein Ausfall selbst von wenigen Mitarbeitenden nicht dauerhaft kompensiert werden. Die Gesundheitsämter werden abwägen müssen, was wichtiger ist: die verlässliche Versorgung pflegebedürftiger Menschen oder der Schutz dieser Pflegebedürftigen vor nichtgeimpften Pflegekräften.
KNA: Wie stellt sich die Situation in den Caritas-Pflegeeinrichtungen dar? Wie hoch ist die Quote der ungeimpften Mitarbeitenden?
Mitzscherlich: Eines unserer Pflegeheime hat eine Impfquote von fast 100 Prozent. In den anderen Heimen sind derzeit zwischen 10 und 50 Prozent der Mitarbeitenden nicht geimpft. Auch in den Sozialstationen der Caritas ergibt sich dieses Bild. Die Stimmungslage in der sächsischen Bevölkerung spiegelt sich bei unseren Mitarbeitenden wieder.
KNA: Und Sachsen gilt als eine der Hochburgen von Impf-Skeptikern. Wie gestaltet sich das Gespräch in Ihren Einrichtungen zu dem Thema? Wie gehen Sie damit um?
Mitzscherlich: In den Einrichtungen ist die Impfpflicht ein großes Thema, es gibt sehr emotionale Gespräche und Mitarbeiterversammlungen. Die Hauptlast tragen die Einrichtungsleitungen. Ich bekomme Briefe, E-Mails und Anrufe pro und contra Impfpflicht. Unter den Impfgegnern sind oft langjährige Pflegekräfte, die gesundheitliche Sorgen haben oder die Impfpflicht als ungerechtfertigte Auflage sehen. Sie haben in ihrem Berufsleben mit großer Hingabe und mit Verantwortungsbewusstsein andere Menschen gepflegt. Sie hängen an ihrem Beruf, wollen sich aber nicht impfen lassen.
Andere sorgen sich, dass ihre pflegebedürftigen Angehörigen allein gelassen werden. Ich habe mich Ende letzten Jahres noch einmal an alle unsere Mitarbeitenden gewandt, ihnen für ihre Arbeit gedankt und versucht, auf einer sachlichen Ebene für die Impfung zu werben. Wenn es möglich ist, reagiere ich auch auf einzelne Zuschriften.
KNA: Wie wird die konkrete Umsetzung der Impfpflicht in Ihren Einrichtungen umgesetzt?
Mitzscherlich: Wir werben seit Monaten mit sachlichen Argumenten und Appellen für die Impfung. Die Einrichtungsleitungen leisten hier einen großen Beitrag durch viele Gespräche in ihren Teams und bei der Organisation von Impfangeboten. Ich sehe aber auch, dass dieses Engagement derzeit an Grenzen gerät. Als Träger von Pflegeeinrichtungen werden wir die gesetzlichen Verpflichtungen umsetzen und die Mitarbeitenden ohne Impf- oder Genesenennachweis dem örtlichen Gesundheitsamt mitteilen.
Die Gesundheitsämter haben dann die Entscheidung zu treffen, ob ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird. Wenn ein solches vorliegt, können wir die entsprechenden Mitarbeitenden nicht mehr beschäftigen, sondern müssen sie freistellen. Es tut mir in der Seele weh um jede Pflegekraft, die wir auf diese Weise verlieren. Noch mehr Sorgen mache ich mir, wie die pflegebedürftigen Menschen dann versorgt werden können.
KNA: Sächsische Zeitungen waren voller Inserate, in denen angeblich ungeimpfte Pflegekräfte neue Jobs suchen - Recherchen zeigten, dass viele dieser Anzeigen Fakes waren. Wie beurteilen Sie das?
Mitzscherlich: Es ist unsäglich, dass mit dem Thema Impfpflicht Stimmung in einer Weise gemacht wird, die dem Schutzanliegen nicht gerecht wird. Dazu zählt auch die Anzeigenkampagne. Manipulation und Lügen sind Gift, wir brauchen Sachlichkeit und Aufklärung. Dennoch weiß ich aus Berichten unserer Einrichtungen, dass sehr wohl Pflegekräfte einen Berufswechsel, den Weg in eine zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit oder sogar eine Ausreise in Länder ohne Impfpflicht überlegen. Besonders schmerzt es mich, wenn Auszubildende, oft kurz vor dem Abschluss, ihre Ausbildung abbrechen oder die nötigen Praxiseinsätze nicht mehr leisten können.
KNA: Was sagen Sie zu Überlegungen, die Impfpflicht für Pflegekräfte in Sachsen auszusetzen?
Mitzscherlich: Die Impfpflicht ist ein Bundesgesetz. Die Möglichkeiten auf Landes- und örtlicher Ebene liegen nur bei der Gestaltung der Umsetzung. Hier muss die Perspektive der Versorgungssicherheit eine Rolle spielen. Die Caritasdirektorinnen und -direktoren der Region Ost haben angesichts unserer konkreten Situation gemeinsam den Vorschlag gemacht, die einrichtungsbezogene Impfpflicht so lange auszusetzen, bis eine allgemeine Impfpflicht eingeführt ist.
Die Fragen stellte Karin Wollschläger.